Johannes Niessen                   Einwirkung

1821 -  ?

Nachdem, aus Nacht, die Kindheit kaum die Schwingen

Aus Traumesdunkel hob, kam voll’res Werden

Und wechselnd Bild, denn Andrer – bald Beschwerden –

Bald Lust, vermochten auf uns einzudringen. –

 

Und, wo Begabte nahten, - sie empfingen

Von uns Verwandtes, wurden die Gefährten

Von Glück und Weh, die ihr Empfinden mehrten,

So, dass sie bald ihr tiefstes Sein umfingen –

 

Verkettung gleich – in Trost und in Gefahr –

Ein Leben – das stets teilend und empfangend –

Das bald genügsam, bald ach, tief verlangend;

 

Doch, herrlich ward’s erst, als uns wurde klar, -

Dass sich ein Dritter bei uns wollte finden:

Der Christus, der hilft Alles überwinden

 

 

 

 

Johannes Niessen                   Rückblicke

1821 -  ?

III.

 

So ist nun freud’ger sill mein Künstlerleben,

Seit Lieb’ ein Heimathszelt ihm aufgeschlagen

In das nicht störend Wesen sich darf wagen

Wie vielfach ich’s zuvor doch musst’ erleben;

 

Andächtig fühl’ ich Herz und Hand sich heben

Unschuldig fromm, wieeinst in Kindheitstagen,

Und klarer lösen sich die Prüfungsfragen,

Die Idealempfindungen beleben.

 

Neu fühl ich starkes friedenreiches Drängen,

Das schaffend strebet nach harmon’schen Zielen

In malerischen Form- und Tongesängen.

 

Vollendung suchend Einklang in dem Vielen,

So dass in Alterstagen treu mag walten

Noch froh bewusst ein künstlerisch Entfalten.

 

 

 

 

 

Johannes Niessen                   Ausblick

1821 -  ?

Nun fühl’ ich wachsen noch die heil’ge Kraft

Durch jenen Gott im Innern mir bereitet,

Der alle unsres Weltalls Kräfte leitet,

Umbildend Alles, ewig neues schafft. –

 

Noch ist des Pfeiles Bogen nicht erschlafft.

Der zu dem Ziele fährt, und neu so streitet

Für das, was Fried’ und Harmonie bedeutet,

Mein Thun zu neuem Muth stets aufgerafft. –

 

Denn Hoffnung sagt uns, Schaffensfreude lohnet

Dem, der da weiss, dass ihm im Herzen wohnet

Der Weltenseele Kraft und ihre Hulden.

 

Und auf des Glaubens Altar steht geschrieben

Das „Ora et labora“ und – „Gott lieben“ –

Das keinen Abgott neben sich kann dulden

 

 

 

Johannes Niessen

1821 -  ?

Der meinen Zeichen-Schülern gegebenen dankenden Antwort zugefügt,

als sie mir im März 1890, bei meinem Abschied aus dem Museum,

ein kunstprächtiges Album mit ihren Bildnissen und edlen Sinnsprüchen

überreichten.

 

Anknüpfend an des Pythagoras Satz: „Das ist die rechte Gabe, die dadurch,

 dass wir sie anderen mittheilen, füruns selbst um so größer wird.“

 

Dem Lehrer wollt Ihr Euren Dank verkünden,

Ihm nichtnur zeigen liebendes Verehren –

Dem Unverstande andrer wollt ihr wehren,

Und offen dies, durch Wort und Tat begründen.

 

Denn stets vereint muss sich das Streben finden

Das Ideal zu suchen und zu lehren; -

Gemweinsam war so glücklich das Verkehren

Uns selbstsuchtlos dem Schönen zu verbinden.

 

Und so ward reicher ich durch Eure Fragen

An Hoffnung, zu gelangen zu dem Reinen

Der Kunst, das Hochbegnadigste erfüllet –

 

Denn lehend will’s erst recht dem Lehrer tagen

Und goldne Brücken zu dem Lichte erscheinen

Die Andern, fern der Kunst, sind trüb umhüllet. -

 

 

 

 

Johannes Niessen                   Meinem Nachfolger im Amte

1821 -  ?                                    Hofrath Direktor Aldenhoven nach seinem ersten Vortrage

über ägyptische Malereien. 10. April 1890

 

Die Fahne hoch, auf der das Wort geschrieben

Von Schönheit hoher Kunst und dem Entfalten

Das sie uns bringt, wenn’s wahr in uns mag walten,

Wie musste ich’s im Jugendtraum schon lieben! –

 

Und doch, - wieist Vollendung fern geblieben

Auch andern dies zu künden, - die Gewalten

Des Alltagslebens liessen nicht gestalten

Das Zauberwort und in mir ward Betrüben. –

 

Dazu entspross des freud’gen Wirkens Drängen

Und gab dem Maler in mir mächt’ges Sehnen

Zu selbstgeschaffnen Form- und Farbenklängen;

 

Du, Freund, bringst in den Zwiespalt mir Versöhnen,

Du kommst, beherrschend was durch’s Wort erwacht –

Und dankesglücksvoll preis’ ich deine Macht. -

 

 

 

Johannes Niessen                   Als ich 1847 in der Kirche St. Pietro in Vincoli zu Rom

1821 -  ?                                                zuerst des Mich. Ang. Bounarotti Moses sah.

 

„Perche non parli!“ sprach einst aus der Fülle

Der innersten Begeisterung und Kraft

Der große Angelo – Des Steines Haft

Sollt’ er durchbrechen, war des Künstlers Wille.

 

So nicht geschah’s, doch jene mächt’ge Stille,

In der er ruht – auch sie noch Thaten schafft,

Sie spricht noch stets, - dess Seele nicht erschlafft,

Berührt elektrisch sie, dass That entquille. –

 

Schau! im geheimen pilgern oft die Söhne

Judäas hin, - sein Herrscherblick sie hebt

Und beuget sie in seinem heil’gen Grimme.

 

Ja! fühlt nicht Jeder in der mächt’gen Schöne,

Die aus ihm strahlt, dass ihn ein Ernst durchbebt,

Gewaltig, des Gesetzes heil’ge Stimme? -

 

 

 

Johannes Niessen                   Als Professor Dr. Hölbaum als Lehrer der Geschichte

1821 -  ?                                                an die Universität Giessen berufen wurde.

 

Welch’ Heil ist es, welch’ ernstes Hochentzücken:

Geschichte kennen – geist’ger Welt Bewegen! –

Einblick erlangen richtig zu erwägen

Wohin uns führen wahrheitslichte Brücken.

 

Wie, sie gerecht zu wandern muss beglücken.

Entfaltung bringen denen, die da hegen

Ihr Bild im Herzen, treu stets prüfend pflegen

Und männlich wahren es vor Lug und Tücken. –

 

Wie schön solch’ ein Beruf: und schöner noch

Wenn das, was man als Wahrheit muss verkünden,

Verklärt wird durch der Schönheit hehres Walten;

 

Erhöhte Kraft wird dann sich im verbinden,

Froh zeigend der Geschichte Huldgestalten

Die überwanden dunkles Lügenjoch. -

 

 

 

 

Johannes Niessen                   Pantheistische Mahnung

1821 -  ?

An Wundersagen glaubst Du? glaube nicht,

wenn sie den heil’gen Kräften widerstreben,

Die Gott uns im Naturgesetz gegeben.

Das zu verehren uns ist heil’ge Pflicht.

 

Denn Allnatur, sie ist das Angesicht

Der Gottheit, - unergründbar Leben,

Es kommt von ihr zu uns als stetes Geben

Des Nöth’gen, dass an Nichts es uns gebricht.

 

Lass Dich’s nicht irren, wenn im Kunstgebilde

Und Dichterwort geformt in heil’gem Sinne

Du siehst, was dem Naturgesetz entgegen. –

 

Das soll zum Denken Dich bewegen,

Es sind Symbole, - geistige Gefilde –

Zu deuten suche sie, - Dir zum Gewinne. -

 

 

 

Johannes Niessen                  

1821 -  ?

Meine Mutter, die in ihren Alterstagen (von 1853 – 1859)

Wohnung und Atelier mit mir theilte, war, wachend so auch schlafend,

ein Bild des Friedens, das mich an Shakespeare’s Wort erinnert:

„Wie die Geduld am Grabe dem Grame lächelnd.“ -

 

So sass gar oft in stiller Kammer-Ecke

Mein gutes altes frommes Mütterlein,

Sie, die genannt mit Recht ward: „Seele rein“ –

So, träumte sie! O dass sie Niemand wecke,

 

Dacht’ stille ich, - dann schien die Kammerdecke

Als wär’ sie offen. – oben Engelein;

Sie winkten ihr, dass sie nicht sei allein’, -

Welch Glück, wenn ich solch’ Heil für mich entdecke?

 

„Mir ist’s, als wär’ ich schon im Himmel oben“, -

So sagte oft sie mir, wenn ich sie frug,

Was ich zur Unterhaltung könnte thun. –

 

Und Du – willst Du solch Beten nicht auch loben,

Das so zum Himmel ihren Geist schon trug?

war’s Müssiggang? Nein! Gnade lässt so ruh’n!

 

 

 

 

Johannes Niessen                   Als S. Königl. Hoheit der Grossherzog von Sachsen-Weimar

1821 -  ?                                                mir huldvoll den Professortitel verliehen

 

Siehe Shakespeare’s Cymbeline (5. Aufzug, 4. Scene)

 

„Den hemm’ ich, den ich lieb’, es wird sein Lohn

Verspätet süsser nur. Traut meiner Macht;

Mein Arm hebt auf den tiefgefallnen Sohn,

Sein Glück erblüht, die Prüfung ist vollbracht.“

 

Der Gottesspruch, nach manchem Spott und Hohn

Der mich betroffen, in des Leidens Nacht

Nun Licht erblüh’n lässt, dass in frend’gem Ton

Zum Herzenssang mein altes Lied erwacht:

 

Die Gottheit preis’ ich, die mit lautrem Glanze

Mein Dasein lichtet, dass ich in dem Schönen

Darf leben, - schaffen bald, bald nachempfinden;

 

Einreihend mich in edler Männer Kranze

Gestattet, dass ich freudig darf verkünden:

- Es giebt in Kunst und Leben ein Versöhnen -

 

 

 

 

Johannes Niessen                   Letzter Ausspruch der Sorge einer guten Mutter

1821 -  ?

„Wenn’s wohl dir geht, hast Deinen Lohn Du hin“ –

Dies wort, es kam mir in der Abschiedsstunde

Aus treuem todesmuth’gen Muttermunde –

Und mir, dem Sohn, ging’s nimmer aus dem Sinn. –

 

Denn warnung war es mir vor dem Gewinn

Der uns wird angeboten in dem Bunde

Und Dienst der Welt, entgegen jener Kunde

Des Heilands, der sein Leben gab dahin. –

 

Drum fördern mußt’ es, meinen Willen stählen

Zur That der treue in dem Reich der Gnaden,

Wo Gott nur gut und dieser ganz allein. –

 

Ich weiss, zum rechten Wohlergehn erwählen,

Wird er, erziehend mich, auf Schmerzenspfaden,

Weil mir bewusst, ein Theil von ihm zu sein. -